Vorschlag für einen New Deal

Der Komponist und Pianist Kaan Bulak gibt eine Einschätzung zum Zustand der Kunstmusik-Szene ab und regt einen Paradigmenwechsel des Musiklebens an.*

Faire Wertschöpfung

Montparnasse in Paris, East Village in New York, Soho in London, Cihangir in Istanbul, Kreuzberg in Berlin: Die Präsenz von anspruchsvoller Kunst und Kultur scheint stets zu neuen Gewerbeformen, neuen Unternehmen, besseren Arbeitsplätzen und steigenden Immobilienpreisen zu führen. Doch sind genau die Künstler*innen, die diesen Aufschwung ermöglicht haben, diejenigen, die am wenigsten davon profitieren. Ihre Präsenz ermöglicht eine Wertschöpfung, die ihre Schöpfer*innen vertreibt. In einer sozialen Marktwirtschaft muss die faire Belohnung aller Teilnehmenden einer Wertschöpfungskette gewährleistet sein, damit sie ihren Standort nicht verlassen müssen. Dies ist auch im Interesse der Stadt bzw. Region, um das kulturelle Image attraktiv zu halten und weiter auszubauen.

Präsenz anspruchsvoller Kunst führt oft zu einem ökonomischen Aufschwung.

Zeitversetzt werden bessere Arbeitsplätze geschaffen, Immobilienpreise steigen.

Faire Aufteilung des erschaffenen Werts sichert die Kultur langfristig in der Stadt bzw. Region.

Erweiterung der Mittelherkunft

In Geschäftsfeldern, die unmittelbar von einem Wertzuwachs durch das kulturelle Leben profitieren, muss eine Kultursteuer abgeführt werden, um einen Nachteil der Kunstszene durch ihren selbst ausgelösten Wertzuwachs zu vermeiden. Ein Beispiel hierfür ist Airbnb: ein Unternehmen, das die Kultur als Attraktion direkt monetisieren kann, keine Abgaben abführt und obendrauf bezahlbaren Wohnraum vom Markt nimmt. Durch eine Abgabe pro Übernachtung könnten bedeutende Mittel für die Kultur gewonnen werden. Als eine Abgabe mit transparenter Mittelherkunft und zielorientierter Mittelverwendung kann die Kultursteuer die kulturelle Lebensqualität nachhaltig absichern und für eine faire Teilnahme an der Wertschöpfung sorgen.

Faire Anteilnahme der Künstler*innen an der Wertschöpfungskette ermöglichen.

Durch eine Kultursteuer wird die Fortsetzung der wertschöpfenden Kultur ermöglicht.

Diese Kultursteuer kommt der gesamten Kunstszene inklusive der Kunstmusik zugute.

Neudefinition der Kulturräume

Vorhandene kulturelle Freiräume gilt es zu schützen und ihre Inhalte zu erweitern. Damit Konzertsäle in ihrer Relevanz bestärkt werden können, sollten sie mehr als klassische Musik bieten und als Orte exzellenten Klangs und künstlerischen Anspruchs gesehen werden. Musik wird an vielen Orten aufgeführt, dennoch klingt sie in einem akustisch optimierten Konzertsaal besonders. Klangkunst, elektronische Musik, Installationen, Musiktheater und Tanz können die Programme der Säle der klassischen Institutionen bereichern. Neues Publikum wird selten erschlossen, indem ein Streichquartett neben der Bartheke in einem Club ohne Nachhall gespielt wird, sondern dadurch dass der heutige Klang der Konzertsäle von zeitgenössischen Künstler*innen in Dialog mit Klängen der Geschichte definiert wird. So können Konzertsäle wieder zu Orten der Begegnung werden, nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch epochenübergreifend. Genau hier sollte der Bildungsauftrag der Konzerthäuser ansetzen und dafür sorgen, dass sich Menschen an diesen vermeintlich elitären Orten wohlfühlen.

Konzertsäle werden als herausragende Klangorte fernab Musikgenres neu definiert.

Begegnungen zwischen Menschen, Klängen und Epochen: immer im Dialog mit dem Jetzt.

Der Bildungsauftrag soll mit einer nicht-elitären Haltung erfüllt werden.

Umsetzung

New Deal bedeutet, von Grund auf neu zu denken, eigene Arbeitsmuster zu hinterfragen und Veränderungen aktiv mitzugestalten. Wir müssen stets mitdenken und dafür sorgen, dass unsere Kunstmusik, Kunstszene und Kultur zeitgenössisch bestimmt und gesellschaftlich relevant bleibt. Um die Rahmenbedingungen zu schaffen, benötigen Kulturschaffende eine starke Interessenvertretung auf Landes- und Bundesebene. Lauthalse Proteste und Aktionen, so medienwirksam sie auch sind, können mit präziser und transparenter Lobby-Arbeit nicht mithalten, wenn es um langfristige Lösungen geht. Kulturpolitische Konzepte müssen bei Entscheidungsträgern vorgestellt und durchgesetzt werden. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass Politiker*innen temporäre Ansprechpartner sind, die von der Gesellschaft abhängig sind. Die Kunstmusik und die Kunstszene sollte zur Kulturszene für alle werden und allen als eine Bereicherung ihres Alltags zugute kommen, indem sie an dem teilhaben können, was sie mitfinanziert haben – und somit die gesellschaftliche Relevanz bestätigen.

Kultur soll zeitgenössisch bestimmt und epochenübergreifend erlebt werden.

Interessen aller Kulturschaffenden sollen mit einer gemeinsamen Lobby durchgesetzt werden.

Der Bildungsauftrag liegt in einer zugänglichen Kulturszene für alle.

Kunst und Kultur sollen Leben bereichern und so ihre gesellschaftliche Relevanz bestätigen.

*Dieser Text ist in vorliegender Form noch an keiner anderen Stelle veröffentlicht worden. Aus diesem Grund ist er hier als Volltext zu lesen.

Bild: © Kasia Zacharko

kaanbulak.com

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