Vorschlag für einen New Deal

Der Komponist und Pianist Kaan Bulak gibt eine Einschätzung zum Zustand der Kunstmusik-Szene ab und regt einen Paradigmenwechsel des Musiklebens an.*

Begriffe und Kern der Sache

Der Begriff der klassischen Musik sollte mit dem der Kunstmusik ersetzt werden und als ein Teil der Kunstszene betrachtet werden. Diese Erweiterung macht Debatten über Herkünfte und Hintergründe überflüssig und ermöglicht eine natürliche Koexistenz von diverser Musik, deren Gemeinsamkeit in ihrem Anspruch besteht: Kassias frühchristliche Hymnen, Symphonic Blues Suite von Yusef Lateef, das 14. Streichquartett vom guten alten Beethoven, Nō Theaterstücke und audiovisuelle Werke vom Berliner Label Raster strahlen alle eine eigene transzendentale und künstlerische Essenz aus, die sie vereint und gesellschaftlich relevant macht.

Weiter betrachtet, besteht im Essenziellen kein Unterschied zwischen einem Gemälde, einer Installation, einem Film und einem Konzert, solange diese fernab kommerzieller Gedanken lediglich die Kunsterfahrung als ihr höchstes Ziel verfolgen. Die Erschaffung und Ermöglichung der Rahmenbedingungen für diese Werke ist ein zeitloser Teil der Kunstszene und unserer Kultur, diese Prozesse müssen gefördert werden. Nur die Art der klassischen Musik und ihre Darbietung, die diesen Anspruch inne hat und dadurch als ein Teil der Kunstszene gesehen werden kann, sollte zur Subventionierung berechtigt sein. Die kommerzielle Ausschlachtung klassischer Musik sollte mit den Mitteln des freien Markts bestritten werden.

Klassische Musik soll als Bestandteil einer zeitlosen Kunstmusik betrachtet werden.

Kunstmusik soll als Teil der Kunstszene in Austausch mit anderen Kunstformen stehen.

Allein der künstlerische Anspruch gibt eine Berechtigung zur Subventionierung.

Betrachtungen im Status Quo

Mit wiederkehrenden Tricks, jedoch verschiedenen Gesichtern und ohne Mut zum künstlerischen Anspruch, ist die sogenannte Klassikszene zu einem Glamour-Zirkus verkommen, die ihren Bildungsauftrag verfehlt. Wie in der Corona-Krise nun deutlich wurde, ist die Diskrepanz zwischen der freien Szene und der Institutionen immens, sodass hinterfragt werden muss, ob die Kulturmittel ihrer Herkunft gerecht verwendet werden. Welche Seite erschafft die zukunftsträchtigen künstlerischen Inhalte und welche lässt sich von einer festgefahrenen Struktur aushalten?

Die freie Szene ist der künstlerische Antrieb der Musikkultur, jedoch schlecht abgesichert.

Institutionen sind künstlerisch und qualitativ festgefahren.

Rationale Mittelverwendung

Es besteht kein Problem mit hohen Gagen, wenn diese im freien Markt erwirtschaftet werden. Eine Gage für eine Solist*in oder eine Dirigent*in im fünfstelligen Bereich pro Konzert ist gesellschaftlich nicht vertretbar (ebenso wenig eine Unterbezahlung am anderen Ende des Spektrums) und darf nicht durch Subventionen ermöglicht werden. Für besonders erfolgreiche und ausverkaufte Konzerte kann ein Zuschlag verhandelt, aber nicht vorab zugesichert werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Gelder uns Kulturschaffenden zur Verfügung gestellt werden, damit wir auf kultureller Ebene der Gesellschaft etwas leisten – nicht damit wir eine Vollkasko-Versicherung für das Fortspinnen künstlerischen Unsinns haben. Wir gehen hier mit dem erwirtschafteten Geld der Allgemeinheit um, wir dürfen keine anderen Ziele verfolgen, als der Kunst und Kultur unserer Städte und Regionen zu dienen.

Kulturmittel werden von der Allgemeinheit erwirtschaftet und bereitgestellt.

Gagen müssen gesellschaftlich vertretbar werden.

Unser Hauptziel ist die Bereicherung der Kunst und Kultur für die Allgemeinheit.

Erfolgswert der Kultur in einer sozialen Marktwirtschaft

Deutschland definiert seine Ökonomie als eine soziale Marktwirtschaft, die im besten Falle komplementär aus einem kapitalistischen Markt und einer sozialen Gesellschaft besteht. Die Komponente des Kapitalismus steht für den Rahmen eines freien Marktes und sollte einen gesunden Wettbewerb inklusive Erfolge, aber auch Pleiten ermöglichen. Die Komponente der Grundsicherung in Form eines sozialen Netzes, welches Scheiternde auffängt, soll zu mehr Risikobereitschaft motivieren und die Progressivität sichern. Wir müssen uns als Kulturschaffende dafür einsetzen, dass das Scheitern als Teil der künstlerischen Entwicklung akzeptiert und durch eine Grundsicherung von Existenzängsten befreit wird. Hier kann das französische Punktesystem als Beispiel dienen. Relevante Konzertreihen, Ensembles und Festivals haben selten ausverkauft und mit großem Erfolg begonnen. Wichtig ist, dass der Erfolgswert der Kultur nicht projektbasierend beurteilt wird, sondern der gesamte Prozess der künstlerischen Entwicklung bedacht und gefördert wird; denn der Erfolg der Kultur hat zunächst einen postmonetären Wert, der sich erst durch die Nachwelt monetisieren lässt und ihr kulturelles Umfeld langfristig bereichert.

Künstler*innen sollen durch eine Grundsicherung in ihrer Entwicklung bestärkt werden.

Prozesse statt Projekte fördern, Scheitern akzeptieren, langfristig Denken.

Künstlerischer Erfolg lässt sich erst durch das Umfeld und die Nachwelt monetisieren.

Seiten: 1 2